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Suizid - Wenn ein Mensch am Leben verzweifelt

Dr. med. Samuel Pfeifer

„So hat das Leben keinen Sinn. Ich kann nicht mehr. Bitte verzeiht mir!“ Ein Abschiedsbrief mit diesen Worten ist schrecklich für die Hinterbliebenen, aber er drückt auch eine enorme Hoffnungslosigkeit bei der Person aus, die nicht mehr die Kraft hatte weiterzuleben.

Jedes Jahr nehmen sich in der Schweiz rund 1000 Menschen das Leben, 5 Mal mehr als es Todesopfer im Strassenverkehr gibt. Suizid gehört zu den drei wichtigsten Todesursachen von Menschen im Alter zwischen 15 und 44 Jahren – für Frauen und Männer gleichermassen. Dabei sind in diesen Zahlen die Suizidversuche nicht eingerechnet, die den vollzogenen Suizid um das 20fache übertreffen.

Wie der internationale Vergleich zeigt, gehört die Schweiz in der Suizidstatistik zur Spitzengruppe. Pro Tag nehmen sich durchschnittlich drei Menschen das Leben. In 90 Prozent der Suizide findet sich die Vorgeschichte einer psychischen Erkrankung. Gedanken an Tod und Selbstmord gehören zum Erscheinungsbild einer schweren Depression. Sie werden besonders gefährlich, wenn sich eine depressive Person zunehmend eingeengt und verlassen fühlt. Zuerst sehnt sie sich vielleicht nur danach, einfach schlafen zu können, um nie mehr zu erwachen. Doch dann beginnt sie zunehmend darüber nachzudenken, wie sie ihrem Leiden und damit ihrem Leben ein Ende setzen könnte. Zieht sich das Netz der Ausweglosigkeit weiter zusammen, so geschieht es nicht selten, dass sich die Gedanken ihr aktiv aufzudrängen beginnen so stark, dass sie kaum mehr weiss, wie sie widerstehen soll.

Tabuthema Suizid

Für viele Christen ist es nicht leicht, solche Gedanken auszusprechen. Zu gross ist noch das Tabu. Sie fürchten sich vor der Reaktion ihrer Mitchristen und haben Angst davor, verurteilt zu werden, "weil doch ein Christ keine Selbstmordgedanken hat." Von einzelnen Seelsorgern werden solche Ideen als Zeichen mangelnder Hingabe an Gott, ja sogar als Ausdruck einer dämonischen Beeinflussung des Betroffenen gedeutet. Doch gerade diese Haltung kann einen Menschen noch tiefer in die Ausweglosigkeit treiben.
Selbstmordgefahr rechtzeitig zu erkennen, ist für die effektive Beratung von depressiven Menschen daher wichtig,

Fünf Fragen

Fünf Fragen können dabei helfen: Zuerst gilt es, die Suizidalität überhaupt anzusprechen. Ich formuliere es vielleicht so: „Menschen in Ihrer Situation sehen manchmal keinen Ausweg mehr. Haben Sie schon einmal daran gedacht, sich das Leben zu nehmen?“ Als nächstes gilt es, das Risiko einzuschätzen. Hat die Person nur einen Todeswunsch oder beschäftigt sie sich konkret damit? So kann man fragen: „Wie würden Sie es tun? Haben Sie bereits Vorbetungen getroffen?“ Je konkreter die Vorstellungen, desto grösser das Risiko! Drittens: Leidet die Person an Gedanken, die sich ohne ihr Wollen intensiv aufdrängen? Die Erfahrung zeigt, dass sich passiv aufdrängende Gedanken gefährlicher sind. Ein viertes Warnzeichen ist die Ankündigung eines Suizids, die man immer ernst nehmen sollte. Schliesslich sollte man abschätzen, wie weit die depressive Stimmungslage und die suizidale Einengung dazu führt, dass ein Mensch zunehmend vereinsamt und keinen Grund mehr sieht, in diesem Leben zu bleiben: „Haben sich Ihre Interessen, Gedanken und zwischenmenschlichen Kontakte gegenüber früher eingeschränkt, verringert? Was hindert Sie daran, ihre Gedanken in die Tat umzusetzen?“





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SUIZID - Drei mal mehr Menschen nehmen sich das Leben als im Strassenverkehr umkommen.



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Was tun bei Suizidgefährdung?

Der unerfahrene Helfer hat oft Hemmungen, Selbstmordgedanken anzusprechen. Doch gerade durch das schamhafte Verschweigen können diese Impulse immer stärker werden. Als erstes Prinzip im Umgang mit Selbstmordgefährdeten gilt daher:

1. Selbstmordgedanken ansprechen. Das selbstverständliche Reden über seine Todeswünsche erleichtert es dem Ratsuchenden, seine innersten Nöte und Ängste zu auszusprechen. Die bedrohlichen Gedanken können dann zusammen mit dem Seelsorger sachlich betrachtet und diskutiert werden. Die Last wird geteilt, und Gegenmassnahmen können erörtert werden.

2. Hinterfragen der Hoffnungslosigkeit: Selbstmord wird dann erwogen, wenn ein Mensch keinen anderen Ausweg mehr sieht. Das Besprechen der Situation aus der Sicht des Betreuers kann zur Frage führen: "Ist meine Lage wirklich so aussichtslos?" Der kleinste Hoffnungsschimmer kann den Suizid Gefährdeten dazu bewegen, den Selbstmord wenigstens aufzuschieben.

3. Eine feste Beziehung zwischen Betreuungsperson und Patient ist während einer suizidalen Krise äusserst wichtig. Das Gefühl, ernst genommen und unterstützt zu werden, kann den Gedanken an Selbstmord schwächen. Man kann dem Depressiven das Versprechen abnehmen, wenigstens bis zum nächsten Gespräch keinen Selbstmordversuch zu unternehmen. Zudem soll man ihm die Möglichkeit anbieten, jederzeit beim Auftreten von Suizidgedanken zu telefonieren. Notfalls besteht die Möglichkeit der "Telefon Seelsorge", die jederzeit rund um die Uhr die Gelegenheit zu einem Gespräch mit einem ausgebildeten Helfer anbietet. In der Schweiz besteht die einheitliche Nummer 143, unter der man direkt und kostenlos mit der Telefonseelsorge verbunden wird (www.143.ch).

4. Hinzuziehen von Angehörigen: Wenn jemand stark suizid gefährdet ist, sollte man ihn nicht mehr allein lassen. Nicht immer ist gleich die Einweisung in eine Klinik nötig. In kürzeren Krisen kann man in Absprache mit dem Patienten die Eltern oder den Ehepartner bitten, den Gefährdeten zu überwachen und ihm vermehrte Zuwendung zu geben. Ist die Selbstmordgefährdung jedoch schwerwiegend oder hält sie länger an, so wird die ständige Überwachung zur Überforderung für die Angehörigen. Hier ist ein mutiger Entscheid zur intensiveren Überwachung und Behandlung in der Klinik nötig.

5. Kurzfristige Therapiemassnahmen: Geben Sie dem Gefährdeten möglichst bald wieder eine Möglichkeit zum Gespräch. Drängen Sie auf eine ärztliche Behandlung mit Medikamenten, die ihn beruhigen und insbesondere zur Wiederherstellung des Schlafes führen.

6. Klinikeinweisung: Wenn die oben genannten Bemühungen nicht ausreichen, so ist ein Klinikaufenthalt unumgänglich. Eine Klinik offeriert in akuten Krisen auch dem gläubigen Patienten zusätzliche Therapiemöglichkeiten, vermehrte Zuwendung und Überwachung und eine Zuflucht vor den als unerträglich empfundenen Lebensumständen und Ängsten.

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Anne Christina Mess: Wenn die Hoffnung stirbt. Selbstmord – Hilfen für Angehörige und Mitbetroffene. Brendow, Moers.
Tina Gomez und Carin Diodà: Warum konnten wir dich nicht halten. Wenn ein Mensch, den man liebt, Suizid begangen hat. Kreuz Verlag, Stuttgart.
Manfred Otzelberger: Suizid – Das Trauma der Hinterbliebenen. Erfahrungen und Auswege. Deutscher Taschenbuch Verlag, München.
Thomas Giernalczyk: Lebensmüde – Hilfe bei Suizidgefährdung. DGVT-Verlag, Tübingen.

Massnahmen bei Suizidgefährdung:

  • Suizidgedanken ansprechen
  • Hinterfragen der Hoffnungslosigkeit
  • Eine feste Beziehung anbieten
  • Hinzuziehen von Angehörigen
  • Kurzfristige Therapiemassnahmen, Medikamente
  • Klinikeinweisung

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